Erst kürzlich hat sich Olli Mustonen mit einem anderen umfangreichen Klaviermusik-Zyklus
auseinander gesetzt: Paul Hindemiths "Ludus Tonalis", der den Visions fugitives von
Prokofieff auf seiner neusten DECCA-CD folgt. Was Beethovens Diabelli-Variantionen für das
19. Jahrhundert oder das Wohltemperierte Klavier von Johann Sebatsian Bach für das 18.
Jahrhundert darstellen, das repräseniert Hindemiths "Ludus Tonalis" für unser Jahrhundert.
Wie die großen Vorbilder, zeichnet den Ludus Tonalis eine kunstvolle Einheit von Ausdruck
und übergeordneter Konstruktion aus. Ausgehend von seiner in dem Buch "Unterweisung im
Tonsatz" dargelegten Theorie komponierte Hindemith 12 Fugen basierend auf seiner Reihe 1,
die er aus dem Obertonverhältnis der Tones C entwickelt hat. Verbunden werden die einzelnen
Fugen durch Interludien, ähnlich den Präludien in Bachs Wohltemperiertem Klavier.
Sehr erfreulich, daß sich endlich mal wieder ein Pianist der jüngeren Generation Hindemiths
pianistischem Hauptwerk annimmt. Sieht man einmal von Siegfried Mausers verdienstvoller
Hindemith-Edition bei WERGO ab und läßt man Ivo Jansens Einsatz in Sachen Hindemith
außer acht, so ist es eigentlich nur Svjatoslav Richter, vielleicht noch Glenn Gould, der sich für
die Klaviermusik des großen deutschen Komponisten dieses Jahrhunderts erwämen konnte.
Überhaupt zeigt der Repertoire-Verglich zwischen Richter und Mustonen erstaunliche
Parallelen. Beethovens Variationszyklen findet man genauso, wie Werke von Prokofieff,
Schostakowitsch, Strawinsky oder Mussorgsky. Tja, von Helsinki bis nach St. Petersburg ist es
eben doch nicht so weit.
Und mit dem Kanadier Glenn Guold verbindet Mustonen die absolute Eigenständigkeit der
Interpretation, die im Bezug auf den Hörer zu keinen Kompromissen bereit zu sein scheint.
Auch auf seiner neusten CD für die Decca Recording Company bleibt Olli Mustonen seinem
Trend treu, die musikalische Substanz grell und nuancenfanatisch auszudeuten. Jedes Stück, sei
es Fuge oder Interludium, wird mit einer Expressivität verlebendigt, daß vom häufigen
Vorwurf einer theoretischen Trockenübung, die Hindemith mit seinem Ludus Tonalis
vollzogen haben soll, aber auch rein gar nichts zu spüren ist.
Ungeheuer gespannt erscheint diese Interpretation, mitunter mit einem Zug ins Maniristische,
da das Naturhafte, das Natürliche in Hindemiths Musiksprache ein wenig zu kurz zu kommen
scheint.
Hans Peter Mohn
Diskographischer Hinweis:
Hindemith: Ludus Tonalis / Prokofieff: Visions fugitives
Decca: 444 803-2
Beethoven: Variationen, Tänze & Bagatellen
Decca: 452 206-2
E-mail: @aachener klassik radio