Das Nordlicht

Der finnische Pianist Olli Mustonen

Er wurde am 7. Juni 1967 in Helsinki geboren und begann mit fünf Jahren Klavierunterricht zu nehmen. Im gleichen Alter - man will der Biographie fast nicht glauben - begann er auch mit dem Cembalospiel und nahm Kompositionsunterricht. Sein ersten Klavierlehrer war der renomierte Pianist und Liedbegleiter Ralf Gothoni. Später studierte Olli Mustonen bei Eero Heinonen Klavier und bei Einojuhani Rautavaara Komposition. - Im neusten Fono Forum ist dem finischen Komponisten übrigens ein Portait gewidmet. Im Mai 1984 war Olli Mustonen dann Preisträger des Genfer Wettbewerbs für junge Solisten, und seit dieser Zeit spielt dieser hochbegabte junge Künstler eine zunehmend aktive Rolle in der europäischen Musikszene. Seine Interpretationen sind von seiner Komponistentätigkeit und der tiefen überzeugung bestimmt, daß jede Darbietung die Frische einer Uraufführung haben muß, damit sowohl das Publikum als auch der Interpret den Komponisten als lebenden Zeitgenossen empfinden können.
Während er versucht, sich in den Sommermonaten auf das Komponieren zu konzentrieren - auch wenn er dann bei dem einen ober anderen Festival auftritt, so hat ihn seine Gastkarriere mit vielen namhaften Orchestern aus aller Welt zusammengeführt. Zu nennen wären da sein Konzert mit dem Chicago Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Prokofieff oder seine intensive Zusammenarbeit mit Vladimir Ashkenazy beim Royal Philharmonic Orchestra und dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin, mit dem er das Klavierkonzert von Igor Stravinsky eingespielt hat. Aber Olli Mustonen betätigt sich auch als Kammermusiker. So konzertiert er häufig mit dem Cellisten Steven Isserlis und dem Geiger Josha Bell. Die Zusammenarbeit mit dem Geiger ist seit kurzem auch auf Tonträger dokumentiert und zwar mit den Violinsonaten von Sergej Prokofieff. überhaupt scheint Mustonen zur Musik des Russen ein ganz besonderes Verhältnis zu haben, wie seine jüngste Veröffentlichung bei seiner Stammfirma Decca mit den "Visions fugitives" op. 22 vermuten läßt. Auch sie ist ein weiteres Zeugnis nicht nur für Mustonenes geradezu ungeheuerlich scharfsinnige Fingervirtuosität, sondern auch für seine Fähigheit mit feinsten Farbschattierungen zu experimentieren.

Erst kürzlich hat sich Olli Mustonen mit einem anderen umfangreichen Klaviermusik-Zyklus auseinander gesetzt: Paul Hindemiths "Ludus Tonalis", der den Visions fugitives von Prokofieff auf seiner neusten DECCA-CD folgt. Was Beethovens Diabelli-Variantionen für das 19. Jahrhundert oder das Wohltemperierte Klavier von Johann Sebatsian Bach für das 18. Jahrhundert darstellen, das repräseniert Hindemiths "Ludus Tonalis" für unser Jahrhundert. Wie die großen Vorbilder, zeichnet den Ludus Tonalis eine kunstvolle Einheit von Ausdruck und übergeordneter Konstruktion aus. Ausgehend von seiner in dem Buch "Unterweisung im Tonsatz" dargelegten Theorie komponierte Hindemith 12 Fugen basierend auf seiner Reihe 1, die er aus dem Obertonverhältnis der Tones C entwickelt hat. Verbunden werden die einzelnen Fugen durch Interludien, ähnlich den Präludien in Bachs Wohltemperiertem Klavier. Sehr erfreulich, daß sich endlich mal wieder ein Pianist der jüngeren Generation Hindemiths pianistischem Hauptwerk annimmt. Sieht man einmal von Siegfried Mausers verdienstvoller Hindemith-Edition bei WERGO ab und läßt man Ivo Jansens Einsatz in Sachen Hindemith außer acht, so ist es eigentlich nur Svjatoslav Richter, vielleicht noch Glenn Gould, der sich für die Klaviermusik des großen deutschen Komponisten dieses Jahrhunderts erwämen konnte. Überhaupt zeigt der Repertoire-Verglich zwischen Richter und Mustonen erstaunliche Parallelen. Beethovens Variationszyklen findet man genauso, wie Werke von Prokofieff, Schostakowitsch, Strawinsky oder Mussorgsky. Tja, von Helsinki bis nach St. Petersburg ist es eben doch nicht so weit.
Und mit dem Kanadier Glenn Guold verbindet Mustonen die absolute Eigenständigkeit der Interpretation, die im Bezug auf den Hörer zu keinen Kompromissen bereit zu sein scheint. Auch auf seiner neusten CD für die Decca Recording Company bleibt Olli Mustonen seinem Trend treu, die musikalische Substanz grell und nuancenfanatisch auszudeuten. Jedes Stück, sei es Fuge oder Interludium, wird mit einer Expressivität verlebendigt, daß vom häufigen Vorwurf einer theoretischen Trockenübung, die Hindemith mit seinem Ludus Tonalis vollzogen haben soll, aber auch rein gar nichts zu spüren ist. Ungeheuer gespannt erscheint diese Interpretation, mitunter mit einem Zug ins Maniristische, da das Naturhafte, das Natürliche in Hindemiths Musiksprache ein wenig zu kurz zu kommen scheint.
Hans Peter Mohn

Diskographischer Hinweis:

Hindemith: Ludus Tonalis / Prokofieff: Visions fugitives
Decca: 444 803-2

Beethoven: Variationen, Tänze & Bagatellen
Decca: 452 206-2

Balaji Mohan & Hans-Peter Mohn
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